Wie Velociraptoren.
Schnell und gefährlich: Die Masern.
Sind sie einmal da, wird man sie so schnell nicht mehr los. Und gefährlich sind sie auch: Masern sind die Raubsaurier der Infektionen.
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Sie surfen im Windschatten aller anderen Krisen, so dass ihre Rückkehr etwas untergeht: die Masern sind wieder da. Es ist eines dieser Comebacks, das keiner benötigt, ein bisschen wie Modern Talking 1998.
Allerdings ist es ein weit größeres Problem als ein schlechter Musikgeschmack, denn der ist, nach allem, was man weiß, zumindest nicht ansteckend: die Masen dafür umso mehr. Jede Person, die sich infiziert, steckt im Durchschnitt zwischen 12 und 18 andere Menschen an. Das ist ansteckender als COVID. Jemand mit der Omikron-Variante würde beispielsweise das Virus an etwa acht andere Menschen weitergeben. Erst 2022 hat die WHO daher Masern als „immanente Gefahr in jeder Weltregion“ beschrieben. Der Grund: für die Herdenimmunität wird eine Impfrate von rund 95 Prozent benötigt. Vor allem in Südosteuropa ist es weit weniger. In Rumänien und auf dem Balkan werden nur Raten von manchmal 50 Prozent erreicht.

Masern sind vor allem in Südosteuropa ein großes Problem, hier in Rumänien.
Europa steht nicht alleine da: Das Virus hat sich in diesem Jahr in ganz Nordamerika so stark verbreitet, dass die Panamerikanische Gesundheitsorganisation Ende Februar den Status der Region als masernfrei gefährdet sah, wenn die Länder ihre Impf- und Ausbruchbekämpfungsmaßnahmen nicht verstärkten.
Auch in Südostasien gibt es Rekordzahlen, vor allem Vietnam und Thailand sind besonders betroffen. Obwohl Südkorea offiziell masernfrei ist, gab es auch dort die höchste Infektionsrate seit sechs Jahren. Und weil der Trend global ist, steigt auch in Afrika die Zahl der Infizierten, vor allem in Sub-Sahara Afrika. Das alles ist nicht nur ein Problem für die öffentliche Gesundheit, sondern auch für die öffentlichen Finanzen. Ein Masernfall zieht,- je nach Land -, Kosten im Bereich der öffentlichen Gesundheit zwischen 30.000 und 50.000 Dollar nach sich. Eine Impfung gegen Masern, im Paket MMR zusammen mit Mumps und Röteln, kostet in Deutschland 40 Euro, in Afrika, wenn man das teuerste Paket nimmt, acht Dollar, sonst eher anderthalb.
Misstrauen gegenüber Regierungen
Glücklicherweise ist Masern für die meisten Menschen nicht lebensbedrohlich – das Problem: man kann nicht vorhersagen, wer schwer erkranken wird. Drei von 1.000 Menschen, die sich mit Masern infizieren, sterben daran. Es gibt es Schätzungen, dass der Masernimpfstoff in den 50 Jahren zwischen 1974 und 2024 weltweit rund 94 Millionen Todesfälle verhindert hat.
Warum ist die Impfrate also so gering?
Abgesehen von dem Image als „Kinderkrankheit“ das geringere Gefahr suggeriert: Fehlinformationen. Noch immer geistert die schon lange widerlegte Idee durch die Gesellschaft, dass der Masernimpfstoff Autismus auslöst. Die Bangkok Post etwa beschreibt in einem Text über die Situation in Thailand, das rund zehn Prozent der Eltern von Masernpatienten im Krankenhaus befürchten, der Impfstoff könne Nebenwirkungen wie Autismus haben. Und das ist noch wenig: Knapp ein Drittel aller Eltern in den USA stellen die Sicherheit des Impfstoffs generell in Frage, schreiben Krutika Kuppalli und Saad Omer von der Universität Texas in der Studie „Measles: the urgent need for global immunisation and preparedness“.
Fehlinformationen sind ein globales Problem - das dazu führt dazu, dass die Wahrscheinlichkeit von Ausbrüchen steigt: „In 2023, only 83% of children worldwide received their first dose of the measles vaccine, down from 86% in 2019.“ Für eine Herdenimmunität notwendig sind 95 Prozent.
Adnan & Sezer Kisa vom der Kristiania University of Aplied Sciences in Oslo stellen in ihrer Metastudie „Health conspiracy theories: a scoping review of drivers, impacts, and countermeasures“ fest: „Verschwörungsvorstellungen beeinflussten die Einstellung zur Impfung, die wahrgenommene Verhaltenskontrolle und die subjektiven Normen negativ.“ Wenig überrachend: „Social media platforms played a central role in amplifying conspiracy theories.“
Erst im April schrieben sie im „International Journal for Equity in Health“: „Studien in 66 Ländern zeigten, dass eine stärkere Zustimmung zu Verschwörungstheorien mit einer geringeren Einhaltung von Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit verbunden war, wobei die Auswirkungen in den Industrieländern größer waren“. Die Verschwörungstheorien selbst umfassen dabei ein breites Spektrum an Überzeugungen. Ihr Grundlage ist aber immer gleich: "Misstrauen gegenüber Regierungen."

Verschwörungstheorien bringen Impfstoffe generell in Verruf.
Zwar ist Misstrauen das Hauptmotiv, Verschwörungstheorien funktionieren allerdings auch, wenn ihre Anhänger Teil von Regierungen sind. Und so wird das Problem auch in Zukunft zunehmen. Impfstoffgegner haben politisch so viel Aufwind wie lange nicht – was direkt in Politik übersetzt wird. Weil die USA aus der WHO ausgetreten sind, bereits jetzt etwa die Hälfte aller patentgeschützten Pharmaka in den USA produziert wird (35 Prozent kommen aus der Europäischen Union) und die Amerikaner sich nicht am globalen Pandemieabkommen beteiligen, muss befürchtet werden, dass sie im Falle einer neuen Pandemie strikte Exportkontrollen für alle relevanten Pharmaka einführen.
Ein globales Pänomen
In den letzten Wochen wurden in den USA hunderte impfstoffbezogenen Forschungszuschüsse gestrichen und ein Moderna-Vertrag zur Herstellung eines mRNA-Vogelgrippeimpfstoffs gekündigt. Das wird, vermutet der, Impfstoffexperte Paul Offit von der University of Pennsylvania, auf die ganze Welt zurückfallen. Offit ist ehemaliges Mitglied von ACIP, des Advisory Committee on Immunization Practices, dass die amerikanische Regierung berät. Das ACIP umfasst 17 Mitglieder - die erst neulich ausnahmslos von US-Gesundheitsminister John F. Kennedy Jr. entlassen und durch Impfgegner und -skeptiker wurden.
Etwa durch Robert Malone, früher seriöser Virologe, der seit der Corona-Pandemie allerdings erzählt, dass er den Plan des Great Reset aufgedeckt habe, eine Verschwörungstheorie. Den Tod zweier Mädchen, die im März und April in Texas an Masern starben, nennt er „Fehlinformationen" (was natürlich nicht stimmt, aber im Bereich der Anti-Impf-Bewegung fast harmlos ist. Andere sprechen in diesem Kontext von den Masern als "Biowaffe").
Eben jener Malone war in der letzten Juniwoche, am 25. und 26., Teilnehmer, als das neu formierte ACIP seine ersteöffentliche Sitzung abhielt. Die Juni-Sitzung ist besonders wichtig, da sie die Weichen für die Herbstsaison der Atemwegsviren stellt. Die Versicherer legen die Kostenübernahme fest. Kliniker geben Bestellungen auf. Verteiler verschicken die Dosen. Kommunikatoren des öffentlichen Gesundheitswesens bereiten Botschaften vor. Weil das alles dauert, ist die Einhaltung des Zeitplans besonders wichtig. Und weil wir von den USA reden und nicht von Österreich, sind diese Entscheidungen auch global wichtig.
Um es kurz zu machen: Die Grippeimpfung wird empfohlen. Aber nicht solche, die Thimerosal enthalten, was nur auf knapp 4 Prozent des Angebots zutrifft. Thimerosal ist ein quecksilberbasiertes Konservierungsmittel, das früher häufig in Mehrdosenimpfstoffen verwendet wurde - für das aber noch niemals ein Beweis für die Schädlichkeit gefunden wurde (kein Wunder, weil es ein organisches Quecksilberderivat ist, das der Körper leicht ausscheiden kann). Von kleinen Ausnahmen abgesehen, wird es seit 2002 ohnehin nicht mehr benutzt.
Die Kommission ist ein Dinosaurier
Über die Zulassung des COVID-19- Impfstoffs für Herbst wurde gar nicht abgestimmt. Aus einem unbekannten Grund wurde dieser Punkt in letzter Minute von der Tagesordnung genommen. Stattdessen wurde diskutiert, ob die geringe Akzeptanz des Impfstoffs, als Grund dafür angesehen werden sollte, ihn nicht zu empfehlen. Also ob Public Relations wichtiger sein sollte als eine medizinische Empfehlung. Aufgebracht hatten die Diskussion die Mitglieder, die noch vor nicht allzu langer Zeit selbst aktiv Zweifel an dem Impfstoff gesät hatten.
Das ist beides insofern erwähnenswert, weil die neu formierte ACIP beschlossen hat, zwei neue Arbeitsgruppen zu gründen – die beide nach dem Stand der Forschung nutzlos sind. Eine soll untersuchen, ob man nicht zu viel Impfen kann und wie Impfungen kumulativ auf den Körper wirken (gar nicht, ist schon untersucht), die andere sich mit der Sicherheit des MMR- Impfstoffs beschäftigen (auch das wurde natürlich schon gemacht, sonst wäre er ja nicht zugelassen).
Was hängen bleiben wird ist: Das ist nicht sicher.
Paul Offit sieht das als "einen Test am Zaun, wie die Velociraptoren in 'Jurassic Park'". Wenn das keinen interessiere, der Zaun also nicht halte, und die Akzeptanz für impfen noch weiter abnehme, werde die Öffentlichkeit Impfstoffen noch skeptischer gegenübertreten. Die große Gefahr liege aber nicht in Einzelfällen, sondern in der Zerstörung der Infrastruktur.
Die Präsentation zum Thema „Thimerosal“ wurde gehalten von Lyn Redwood, ehemalige Präsidentin von Childrens Health Defence, der von Kennedy gegründeten Anti-Impfstoff-Gruppe. Sie redete in ihrem Vortrag von „neurologischen Entwicklungsstörungen” anstelle von Autismus, ein Code, behauptete jedoch, dass ein Zusammenhang zwischen Thimerosal und Gehirnentzündungen bestehe, die sie als „eines der Kennzeichen von Autismus” bezeichnete. Nur, um noch einmal erwähnt zu haben: Das ist alles unwahr. Aber der Vortrag steht online auf der Seite der CDC, denn das ist eine Behörde die Kennedy untersteht. Die Falschinformation bekommt so einen offiziellen Anstrich.
Wenn die ACIP und mit ihr Kennedy einen Weg finden, Autismus in die Liste der entschädigungsfähigen Impfschäden aufzunehmen, befürchtet Offit, dann wäre das ein Schritt zurück in die frühen 1980er Jahre, als eine Flut von Rechtsstreitigkeiten die Zahl der Impfstoffhersteller von 18 auf vier zurückgehen ließ – weil die Haftung viel zu hoch wäre, für Medikamente, die den Unternehmen fast keinen Gewinn bringen. Worst Case: Impfstoff wird überhaupt nicht mehr hergestellt.
Plötzlich ginge es dann nicht mehr um Problemen mit der Beratung oder der Abdeckung, sondern schlicht um das Vorhandensein von Impfstoffen. Masern wäre dann zwar garantiert kein unterschätztes Problem mehr. Allerdings nur noch eins von vielen.
