GAVI und NIH: Live Forever.
In der Flut der Nackenschläge für Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit, die wir gerade erleben, ist der Rückzug der USA aus der Impfallianz GAVI vor knapp drei Monaten etwas untergegangen. Eine Einordnung.

Neulich habe ich versucht Karten für Oasis zu bekommen, Ort egal, Hauptsache dabei. Der Andrang war so groß, dass ich das natürlich nicht geschafft habe (alleine in Großbritannien haben das knapp fünf Prozent der Bevölkerung versucht).
Ein paar Tage später habe ich mich dann nochmal gegen COVID impfen lassen. Da gab es überhaupt gar keinen Andrang. In der Praxis waren alle überrascht, dass das überhaupt noch jemand macht, der kein Rentner ist. Während die 90er so trendy sind wie nie zuvor, gilt für Impfen vermutlich das Gegenteil – und das gilt nicht nur für COVID. Erst Ende Juli veröffentlichte die New York Times einen Text mit dem Titel „Childhood Vaccination rates have dropped again.“
Der bezieht sich zwar nur auf die USA, fügt sich aber in ein globales Bild – zu dem wiederum der Rückzug der USA aus der Impfallianz GAVI passt. Das war vor knapp zehn Wochen und ist in der Lautstärke, mit der die internationale Zusammenarbeit in Teilen gerade beendet wird, etwas untergegangen.
Begründet wurde der Schritt damals von Robert F. Kennedy Jr. damit, dass die Organisation „die Wissenschaft ignoriert“ und „das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren“ habe.

Bei reddit wurde der Rückzug der USA eher sarkastisch kommentiert.
Dabei ist GAVI, die globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung, eines der deutlichsten Beispiele für erfolgreiche, koordinierte globale Gesundheitsmaßnahmen - und darüber hinaus ein Leuchtturm für öffentlich-private Partnerschaften. GAVI wurde 2000 gegründet, um ein ganz konkretes Problem zu lösen: Impfstoffe wurden zwar entwickelt, die ärmsten Länder konnten sie sich aber nicht leisten und die Hersteller hatten keinen finanziellen Anreiz, diese Märkte zu bedienen. GAVI sprang ein, um diese Lücke zu schließen. Durch die Bündelung von Spendengeldern und den Einkauf von Impfstoffen in großen Mengen macht GAVI diese erschwinglich und zugänglich in Ländern, in denen Krankheitsausbrüche am tödlichsten und die Gesundheitssysteme am schwächsten sind.
Fake News wird real Politik
Seit der Gründung finanzierte GAVI die Impfung von mindestens 760 Millionen Kindern. Geimpft wurde und wird gegen lebensbedrohliche Krankheiten: Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Hepatitis B und Hib, das ist ein Bakterium, dass unangenehmes Zeug wie Hirnhaut- und Lungenentzündung und Blutvergiftung auslöst. Schätzungsweise rettete das 18 Millionen Menschenleben. Heute impft GAVI fast die Hälfte aller Kinder weltweit.

Impfen hilft, alles andere ist schlicht gelogen.
Ein Argument bei dem Rückzug war das natürlich nicht. Stattdessen: Die USA seien besorgt darüber, wie GAVI während der Corona-Pandemie an der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung beteilig gewesen wäre (nur fürs Protokoll: GAVI hat natürlich nichts unterdrückt, sondern einfach auf die Sinnhaftigkeit der Impfung hingewiesen).
RFK Jr. nutzte die Ankündigung, um das zu tun, was er immer tut: Zweifel an Impfstoffen säen.
Kennedy zitierte eine fehlerhafte Beobachtungsstudie aus dem Jahr 2017, um zu behaupten, dass DPT-Impfstoffe (Diphtherie, Pertussis und Tetanus) die Sterblichkeit bei Mädchen erhöhen, wobei er Störfaktoren, Verzerrungen und die Tatsache ignorierte, dass strengere Folgestudien – darunter auch Studien derselben Forscher – keinen solchen Effekt feststellen konnten. Ihre Schlussfolgerung aus dem Jahr 2022: „Wir konnten keinen Zusammenhang zwischen DTP und einer erhöhten Sterblichkeit bei Frauen feststellen.“
Die USA waren zweitgrößer Beitragszahler
Vor ihrem Rückzug stellten die USA etwa 13 Prozent des GAVI-Budgets, sie waren zweitgrößter Beitragszahler nach Großbritannien. Die Mittel waren bereits bis 2030 bewilligt, um eine Milliarde Dollar ging es da. Eigentlich ist das Geld nicht Teil von Kenneth Zuständigkeit, es fließt nicht über das HHS, das Department of Health and Human Services, das Gesundheitsministerium, sondern es ist Teil der Auslandshilfe des Außenministeriums – gehört also in den Entscheidungsbereich von Marco Rubio. Aber Verfahren und Abläufe und Verlässlichkeit… nun…
Die Gates Foundation hat inzwischen 1,6 Milliarden Dollar zugesagt, um die Lücke zu schließen, aber das wird wahrscheinlich nicht ausreichen. Aus Deutschland kommen in den nächsten fünf Jahren 600 Millionen Euro.
Warum ist das alles so wichtig für uns?
Die Streichung der Unterstützung für GAVI ist nicht nur aus humanitärer und geopolitischer Sicht schlecht, weil sie das Vertrauen in die Verlässlichkeit der westlichen Nationen einmal mehr zerstört, sie untergräbt zudem Vertrauen in Wissenschaft, was langfristig nie gut ist. Vor allem aber werden wir uns damit in für uns abgelegenen Ecken der Welt Krankheiten heranzüchten, die mittelfristig selbstverständlich wieder zu uns zurückkehren - schließlich sind die Menschen so mobil wie noch nie zuvor in der Geschichte. Und trotz aller Versuche des globalen Nordens diese Mobilität zu beenden: das wird nicht klappen.
GAVI steht aber nicht alleine da. In den letzten sechs Monaten wurden in den USA mehr als 5.500 Forschungsprojekte eingestellt, darunter mehr als einhundert klinische Studien zu Themen, die auch MAGA-Unterstützer betreffen: Krebs, Alzheimer, HIV, Belastung von Trinkwasser mit Arsen und Uran, digitale Bildgebung in der Gesundheitsvorsorge. Dem National Institutes of Health (NIH) werden gerade massiv die Mittel gekürzt.
Die US-Amerikaner agieren zu Hause also ähnlich, zumindest manche. Die Ankündigung des obersten Gesundheitsdirektors Floridas, Joseph Ladapo, auf alle Impfvorschriften, auch an Schulen, zu verzichten, löste Jubel bei den Anwesenden der Pressekonferenz aus.
Begründung: "Your body is a gift of god."
Na dann... kann man ja ohne jede Datenlage, ohne die Krankenhäuser vorzubereiten, einfach mal machen. Für die Europäer bedeutet das vermutlich, dass es in Zukunft mehr zu tun gibt.
Vergleicht Impfen mal eben mit der Sklaverei: Dr. Joseph Ladapo, Direktor des öffentlichen Gesundheitsdienstes von Florida.
Das NIH ist die mit Abstand größte Forschungseinrichtung der USA und die weltweit größte öffentliche Forschungsförderungsorganisation. Es handelt sich dabei nämlich nicht um eine einzige Behörde, sondern um einen Zusammenschluss von 27 Instituten und Zentren, die sich jeweils auf bestimmte Bereiche wie Krebs (NCI), Infektionskrankheiten (NIAID), Alterung (NIA) und psychische Gesundheit (NIMH) konzentrieren. Und wir sind erst am Anfang: Der Haushaltsplan des Kongresses sieht eine zusätzliche Kürzung der Mittel für die NIH um vierzig Prozent vor - von derzeit 47,4 Milliarden Dollar auf etwa 27 Milliarden Dollar im Jahr 2026. Das bietet sich insofern an, da der Posten für die NIH im frei verfügbaren Haushalt für Gesundheit und Soziales der größte ist.
Die meisten Förderungen wurden bisher an der Harvard Medical School gestrichen, die 340 Förderungen verlor. Dicht dahinter folgten die Columbia University Health Sciences (163), die Harvard School of Public Health (158) und die Harvard University (139), was eine Konzentration innerhalb der akademischen Korridore von Boston und New York deutlich macht. Danach kommt die Universität von Kalifornien und Yale. Selbst wenn das Zufall sein sollte oder die Kürzungen dort am meisten ins Gewicht fallen, weil dort bisher auch quantitativ viel geforscht wurde: Dass die politische Ausrichtung der genannten Universitäten Washington eher nicht passt, ist kein Geheimnis.
Amerikanische Innenpolitik wird globalisiert
Weil alle Betroffenen bei manchen Projekten in internationalen Kooperationen arbeiten, globalisiert US-Forschungspolitik in diesem Fall amerikanische Innenpolitik. Wissenschaft arbeitet zusammen, das ist eines ihrer Grundprinzipien. Bestimmte Bereiche, wie beispielsweise die Forschung an seltenen Krankheiten, profitieren besonders von der internationalen Zusammenarbeit, da sie den Pool an Patienten für Studien erweitert.
Das dabei in den USA die indirekten Kosten, also alles das, was jenseits der Forschung anfällt, -etwa Laborgeräte, Entsorgung gefährlicher Abfälle und Grundausstattung wie Strom, Klimaanlage und Heizung-, um knapp ein Drittel gekürzt wird, ist da fast schon kein Aufreger mehr.
Laut einer Schätzung der amerikanischen Handelskammer sichern NIH-Fördermittel 400.000 Arbeitsplätze und generieren 94,6 Milliarden US-Dollar an wirtschaftlicher Aktivität in den gesamten USA. Eine Studie geht gar davon aus, dass jeder Dollar, der über die NIH in die wissenschaftliche Forschung investiert wird, 2,56 Dollar an neuer Wirtschaftstätigkeit generiert, eine Rendite von mehr als 250 Prozent.

Das National Institute of Health in Bethesda, Maryland: Wissenschaftsförderung ist eine große Wohlstandsvermehrungsmaschine. Man muss nur fördern.
Zwar gibt es für Europa keine entsprechenden Zahlen, aber selbstverständlich fördern auch die Europäer Wissenschaft – unter anderem mit „Horizon Europe“. Die Initiative ist das wichtigste Forschungs- und Innovationsprogramm der EU, läuft von 2021 bis 2027 und verfügt über ein Budget von 95,5 Milliarden Euro.
Dazu kommen verschiedene andere, kleinere Fördertöpfe, wie etwa „Choose Europe for Science“. Dennoch bleiben Forschungsgelder in Europa in der Regel hinter denen in den USA zurück (und hinter denen in China, Japan und Südkorea) – und zwar im Größenordnungen, die eher an militärische Investments erinnern. 2023 lagen die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der EU im Verhältnis zum BIP bei 2,22 Prozent. In Südkorea ist es doppelt so hoch. Allerdings haben sowohl Koreaner, als auch Japaner, Chinesen und Amerikaner Einen sehr viel höheren Anteil an privatwirtschaftlichen Geld, das in Forschung und Entwicklung fließt, als die Europäer (auch in Deutschland wird mehr privates als staatliches Geld in FuE investiert).
Dazu kommt, dass in Europa Finanzmittel sehr oft kurzfristig bewilligt werden, über einen überschaubaren Zeitraum und diese Bewilligungen oft mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden sind. Langfristig planbar ist wenig. Auch bei gutem Willen der Europäer: Dass all das, was jetzt wegfällt, nach Europa verlagert werden kann und wird, ist illusorisch – auch, wie der Anteil von Industrie und Stiftungen gesamteuropäisch nicht hoch genug ist.
Das Ziel der EU ist dennoch ambitioniert ? „Wir möchten, dass Wissenschaftler, Forscher, Akademiker und hochqualifizierte Arbeitskräfte sich für Europa entscheiden“, sagte Ursula von der Leyen auf der „Choose Europe for Science“ - Konferenz an der Sorbonne-Universität in Paris.
Funktioniert das?
Stand jetzt gibt es keine verlässlichen Zahlen zu US-Forschern, die an einem Umzug interessiert sind oder das bereits getan haben. Alles Anekdoten.
Definitely Maybe sozusagen.
