Die Gesellschaft muss einbezogen werden
Ende Oktober fand im spanischen Valencia die zehnte Ausgabe der Influenza Conference statt. Das Leibniz Lab Pandemic Preparedness wurde durch unsere Sprecherin Gülsah Gabriel vertreten.
Das Panel "Transdisciplinary Approaches for Pandemic Preparedness".
Am dritten Tag der Konferenz ist es soweit: Im Panel „Transdisciplinary Approaches für Pandemic Preparedness“ stellt Gülsah Gabriel das Leibniz Lab Pandemic Preparedness vor - zusammen unter anderem mit Ron Fouchier, Professor am Erasmus MC in Rotterdam, der nach ihr spricht und das gleiche mit dem niederländischen Pendant tut. Bei den Nachbarn heißt das dann The Pandemic and Disaster Preparedness Center, was nicht nur ähnlich klingt, sondern auch inhaltlich ähnlich ist. Später wird noch Sabine Maasen sprechen, Professorin an der Universität Hamburg und das passt insofern, weil sie sich mit der Frage beschäftigt, wie Wissen von Forschung und Gesellschaft zusammen produziert, vermittelt und politisch wirksam gemacht werden kann – denn sowohl im deutschen Leibniz Lab als auch in den Niederlanden soll das erworbene Wissen schließlich der Gesellschaft zugutekommen.
Das Panel findet statt im Rahmen der zehnten „Influenza Conference“ in Valencia. Über 700 Forschende und Experten für öffentliche Gesundheit diskutieren Ende Oktober an vier Tagen im dortigen Kongresszentrum knapp 190 Paper zu den wichtigsten respiratorischen Erregern wie Influenza, RSV, COVID-19 und hMPV.
Das Überthema: Zusammenarbeit
Dutzende verschiedene Veranstaltungen gibt es, die wiederum in wissenschaftliche und politisch-kommunikative Panels gegliedert sind. Unter anderem geht es um die Themen Immunität und Impfstrategien, Epidemiologie und molekulare Virologie, Modellierung und nicht-pharmazeutische Eingriffe, um nur ein paar zu nennen. Allein das Programmbuch ist 200 Seiten stark.
Das Kongreßzentrum in Valencia war Austragungsort der Veranstaltung.
Gabriel, Fouchier und Maasen sitzen in Auditorium 3, das Konferenzzentrum in Valencia ist groß, Veranstaltungen zu Virusevolution und antiviralen Therapien laufen gleichzeitig, dennoch ist der Raum gut besucht.
Anderthalb Stunden dauern Vorträge und Diskussion. Der Ansatz der Transdisziplinarität sorgt für viele Nachfragen, denn er passt in das Überthema der gesamten Konferenz: Zusammenarbeit – mit anderen Forschenden, aber vor allem auch mit der Bevölkerung. Gerade in Zeiten, in denen Wissenschaft immer mehr unter Rechtfertigungsdruck gerät ist das notwendig. Schließlich geht es nicht mehr nur um den Transfer von Wissen, sondern um Ko-Kreation für dringende Probleme und Fragen.
Das aktuell herausfordernde Umfeld für Wissenschaft in Europa und den USA steht denn auch wie ein unsichtbarer Elefant im Raum – und oft auch im Mittelpunkt der Veranstaltungen. So sagt etwa die spanische Gesundheitsministerin Mónica García gleich in der Eröffnungszeremonie: „In einer Zeit, in der die Wissenschaft herausgefordert ist, sollte Europa eine Welt anführen, in der die Wissenschaft Brücken baut, den Menschen in den Mittelpunkt stellt und durch Beweise Vertrauen stärkt.“ Es bestehe ein großer Bedarf an Räumen, in denen Wissenschaft und Politik einander zuhören.
Das Panel vor dem Start der Veranstaltung.
Zuhören allein ist dabei aber vermutlich nicht genug. Und Beweise werden in einem polarisierten Umfeld oft nicht gesehen. Die Diskussionen drehen sich dann in mehreren Sitzungen der Konferenz auch um das Vertrauen in die Wissenschaft. Dass das Thema dringender ist, denn je, zeigt etwa ein Text, der ein paar Tage nach dem Ende der Veranstaltung in der New York Times erscheint.
Wissenschaft muss sich erklären
Die Impfmüdigkeit, heißt es da, führe nicht nur dazu, dass eigentlich lange zurückgedrängte Krankheiten wie die Masern wieder auf dem Vormarsch sind, sondern habe mittlerweile auch Tierbesitzer erreicht, die sich weigerten, ihre Tiere impfen zu lassen. Eine Studie aus Brasilien legt gar nahe, dass Hundebesitzer, die nicht gegen Covid geimpft sind, auch generelle Impfungen ihrer Tiere ablehnen. Sogar die Meinung, dass Impfungen der Haustiere zu Autismus bei Hunden und Katzen führen, ist mittlerweile stark vertreten. Spillover mal anders.
Und so muss sich Wissenschaft immer wieder erklären. Das Problem ist allerdings erkannt – und wird etwa im Panel „How Scientific evidence guides policy: Lessons learned“ thematisiert. Forschung muss, zumindest in Teilen, inklusiv sein, das ist kein Geheimnis und schon heute der Fall, aber, wie ein Teilnehmer während des Panels sagt, „ein Epidemiologe ist jemand, der nach Signalen inmitten der Lautstärke sucht“. Und das gehe besser, wenn die Gesellschaft immer wieder einbezogen werde.
Im Podcast von ESWI geht es um respiratorische Viren wie Influenza und SARS-CoV-2.
Warum also braucht man das Leibniz Lab? „Aus Gründen der nationalen Sicherheit“, sagt Gabriel während der Debatte. Es ist ihre zweite Veranstaltung an diesem Tag, sie ist begehrte Gesprächspartnerin auch zwischen den Veranstaltungen und sitzt zudem im Board of Directors von ESWI, der Europäischen Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für Influenza und andere Atemwegsviren, die die Konferenz veranstaltet.
Nationale Sicherheit spielt eine Rolle
1993 von führenden Influenzaforschern gegründet, hat sich die Mission von ESWI nicht geändert: die Krankheitslast durch Influenza und andere akuten Atemwegsviren in Europa zu verringern. Mittlerweile ist die alle zwei Jahre stattfindende mehrtägige Tagung zur größten ihrer Art in Europa und zweitgrößten der Welt aufgestiegen - weil sie eine Plattform für die Diskussion von Strategien zur Influenza-Prävention bietet – im engen Austausch zwischen europäischen Wissenschaftlern und europäischen Stakeholdern aus der Politik und Wirtschaft.
So geht es während der vier Tage etwa um die Frage, wie eine Erhöhung der Impfbereitschaft bei Atemwegsviren erreicht werden kann. Neue Daten zu verbesserten saisonalen Influenza-Impfstoffen werden vorgestellt. Eine Sitzung zeigt die Belastung durch akute Atemwegsinfektionen und deren Wechselwirkung mit chronischen, nicht-übertragbaren Erkrankungen, etwa die Zusammenhänge zwischen Influenza und RSV, - dem respiratorischen Synzytial-Virus, besser bekannt als menschliches Erkältungsvirus -, und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder metabolischen Störungen. Es gibt Sessions zu zoonotischen Influenzaviren, genomische Analysen und einen Bereich, in dem der Nachwuchs gefördert wird.
Zuhörer im größten Saal des Konferenzzentrums.
Parallel dazu wird diskutiert, wie Forschungskapazitäten trotz Budgetdrucks erhalten bleiben können – insbesondere im internationalen Umfeld. Es geht, so kann man das sagen, um fachliche Konsequenzen politischer Entscheidungen.
Jahrzehntelang kam fast dreiviertel des Geldes für die globale pathogene Forschung aus den USA. Das ändert sich gerade, denn die Amerikaner streichen ihre Budgets radikal zusammen. Aber bevor man das beklagt: Warum tun die Europäer nicht mehr? Schließlich liegt es auch in ihrem nationalen Interesse Erreger zu identifizieren und zu verstehen, eine Pandemie betrifft schließlich auch sie. Und so gilt in der Wissenschaft, was auch in der Sicherheitspolitik gilt: Die EU tut sich schwer. Sie ist als Handelsbündnis gegründet, nicht als geopolitischer Akteur. Soft power muss dringend zu hard power werden, das gilt auch in der Wissenschaft.
Die EU tut sich schwer
Dabei kann die EU das amerikanische Geld nur schwer ersetzen, schließlich ist das System ein komplett anderes. Anders als etwa die CDC liegt der Aufgabenschwerpunkt ihres europäischen Pendants ECDC bei Beratung und Sammlung von Krankheitsvorkommen, nicht bei eigener Forschung. Dabei ist sie vollständig von den nationalen Behörden der jeweiligen Mitgliedsländer der EU abhängig.
Damit Europa von der neuen Linie der US-Amerikaner wissenschaftlich profitiert, müsste sich das Finanzierungssystem der Europäer ändern, mehr Geld, mehr Ressourcen. Tut es das nicht, konkurrieren nur mehr Leute um die gleiche Arbeit, die Exzellenz in der Breite würde das nicht verbessern.
Von links: Ed Hutchinson (Universität Glasgow), Sabine Maasen (Universität Hamburg), Albert Osterhaus (Tierärztliche Hochschule Hannover) und Gülsah Gabriel (Leibniz Lab Pandemic Preparedness).
Es ist warm in Valencia im Oktober, die Tapas in der Stadt vorzüglich. Eine halbe Stunde dauert die Fahrt mit der Straßenbahn vom Konferenzzentrum zum Mittelmeer. Den Blick auf die Probleme verstellt das aber nicht. „We are at a strange situation at the moment“, sagt denn auch einer der Diskutanten am zweiten Tag der Konferenz während des Panels „Science, Public Health and funding in a changing world.“ So wisse man zum Beispiel nicht, wie viele mit H5N1-infizierte Kühe es mittlerweile in den USA überhaupt gebe, weil das schlicht keiner mehr überprüfe. Außer der CDC könne das nun mal keiner machen. Was man noch hört, im Auditorium und auf der Bühne: „There is an issue with funding“. „Nothing is for certain anymore“. „Prorities are shifting“. „The system might change because of political issues.“ There is a declining of the role of science in Europe.“ „Doing basic science is becoming difficult.“
Das klingt alles schwierig und kompliziert und das trifft ja auch zu: es ist schwierig und kompliziert. Aber eine gute Kommunikation und Einbeziehung der Gesellschaft kann das ändern. Frederic Bouder, Experte für Risikokommunikation und Professor an der Universität Stavanger in Norwegen, nennt Kommunikation in einen der Panels gar „Schlüsselfaktor“. Dazu zählt er „Fairness, Kompetenz und Effizienz“. Nur damit lasse sich Vertrauen aufbauen. Was wiederum notwendig sei, um zusammen Wissen zu schaffen
Und letztlich kann man Krisen, egal welcher Art, nur genauso lösen: Zusammen.