Because I choose to.
Über die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft.

Realitäten gibt es viele. Dazu muss man weder an Verschwörungstheorien glauben noch Keanu Reeves als Neo durch die Matrix begleiten. Es reicht, eine Talkshow anzusehen oder einen eigenen Social-Media Account zu pflegen, weil der regelmäßig mit Quatsch geflutet wird – egal, was man tut. Kommt dann noch ein zweifelndes Familienmitglied auf einer Geburtstagsfeier dazu, dann weiß man schnell: Alles Mist.
Eine der sehr erfolgreichen Erzählungen des Untergangs ist, dass Wissenschaftler ein Glaubwürdigkeitsproblem haben. Niemand vertraut der Forschung. Bauchgefühl und gesunder Menschenverstand sind die Währungen gegen Experten aus dem Elfenbeinturm. Das wissen alle.
Nur: es stimmt halt nicht.
Wissenschaftler gehören zu den am meisten vertrauenswürdigen Personen in einer Gesellschaft. „Scientists are among the most trusted actors in society”. Das steht in einer Studie, an der unter anderem Markus Huff mitgearbeitet hat, „Trust in scientists and their role in society across 68 countries”, über 200 Autoren, sogenannte Mulitlab-Studie.
Huff ist stellvertretender Direktor des IWM, des Leibniz Instituts für Wissensmedien, zudem Professor für Angewandte Kognitionspsychologie an der Eberhard-Karls-Universität, beides in Tübingen. Das IWM ist eins von 41 Instituten, die im Leibniz Lab Pandemic Preparedness zusammengeschlossen sind. Huff sagt: „Das Vertrauen in Wissenschaft ist moderat hoch“.

Markus Huff ist stellvertretender Direktor des Leibniz Instituts für Wissensmedien in Tübingen.
Dabei mag „moderat“ nicht sonderlich überschwänglich klingen, eher wissenschaftliche zurückhaltend, aber in Zahlen bedeutet das: 57 Prozent der befragten Menschen glauben, dass Wissenschaftler ehrlich sind und 56 Prozent daran, dass sie am Wohlergehen der restlichen Bevölkerung interessiert sind. Und zwar weltweit. Denn die Studie zeigt nicht nur ein Stimmungsbild in 68 Ländern, sie bildet auch knapp achtzig Prozent der globalen Population ab. „Die Besonderheit an dieser Studie ist, dass sie so groß ist, so international angelegt“, sagt Huff. „No country“ steht darin, „shows low overall trust in scientists” Und: “Across the globe people perceive scientists as having high competence.” Keine einzige Gesellschaft ist Wissenschaftsfeindlich.
Wenn das nichts ist.

Als einzige europäische Nation schafft es Spanien in die Top 10 derjenigen Länder, mit einem hohen Vertrauen in Wissenschaft.
Das Vertrauen in Wissenschaft ist höher, als man denkt
Dabei vertrauen die Menschen am meisten in Ägypten, dass die Rangliste vor Indien und Nigeria anführt. Die vielgescholtenen Vereinigten Staaten laufen auf Platz 12 ein, weit vor China, das in der Mitte herumdümpelt. Spanien als 8. ist das einzige europäische Land in den Top Ten. Die Europäer kommen generell nicht gut weg und die Deutschen im Speziellen ziemlich schlecht: Deutschland landet im hinteren Mittelfeld zwischen Peru, Georgien und Serbien, steht aber immer noch besser da als die Schweiz, Frankreich und Österreich.
Ausgangspunkt der Untersuchung: Corona. Einzelne Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen standen im Fokus, die Maßnahmen waren anfangs unumstritten, einerseits. Auf der anderen Seite nahm das mediale false balancing zu, oft wurde so getan, als würde man vieles gar nicht genau wissen, weil die Auswahl an Gesprächspartnern oder Themen verzerrend war. So verfestigte sich im Laufe der Zeit der Eindruck, dass Wissenschaft ihre Glaubwürdigkeit verliert. Das habe man zum Anlass genommen, sagt Huff, um zu untersuchen, ob das überhaupt stimmt.
Obwohl Wissenschaft in Europa also einen relativ schweren Stand hat, gilt das nicht für alle Gruppen: Frauen, ältere Menschen, Städter, Menschen mit hohem Einkommen und solche, die sich eher als liberal bezeichnen stehen der Wissenschaft aufgeschlossen gegenüber.
Man kennt das Problem als Anekdote und oft auch aus eigener Erfahrung, aber hier ist wissenschaftlich belegt:
Ungebildete konservative Männer vom Land sind ein Problem. Einerseits. Anderseits gilt das vor allem für die USA und Europa. Betrachtet man den ganzen Globus zeigt sich, dass es zwischen politischer Orientierung auf der einen Seite und dem Vertrauen in Wissenschaftler auf der anderen Seite keinen Zusammenhang gibt. In manchen Ländern Asiens und Afrikas gilt sogar: je politisch konservativer, desto höher das Vertrauen.
Möglicherweise lässt sich das dadurch erklären, dass in einigen Ländern rechtsgerichtete Parteien bei ihren Anhängern Vorbehalte gegen Wissenschaftler kultiviert haben, während dies in anderen Ländern bei linksgerichteten Parteien der Fall ist. Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn es heißt: Verloren ist gar nichts.
Vorurteile sind politisch gelernt und eine Frage der Sozialisation und der Kultur. Infektionskrankheiten zu leugnen, verfängt dann so lange, bis man sich selbst infiziert. Das bedeutet, dass man Vertrauen wieder herstellen kann. Auch wenn es dauert.
Denn selbst im Westen gilt: Eine geringere Ausbildung geht nicht automatisch mit Wissenschaftsfeindlichkeit einher, die Studie führt das aus: „Research has shown that less educated people trust scientific methods more than scientific institutions.“ Das Problem ist das Vertrauen in Institutionen, nicht in wissenschaftlichen Methoden selbst.
So gibt es in den allermeisten Ländern keinen Zusammenhang zwischen Ausbildung und Vertrauen. Was im Umkehrschluss bedeutet: Auch hervorragend ausgebildete Menschen können den größten Unsinn reden und Misstrauen in Behörden wie das CDC oder das RKI verstärken - und sie tun das ja auch oft.
„Von manchen Leuten“, sagt Huff, „wird die Aussage „keiner interessiert sich mehr für Wissenschaft“ politisch instrumentalisiert. Es geht dabei nicht so sehr um die Wissenschaft, sondern um die Institutionen, die dahinterstehen.“
Manche Vorurteile werden von der Studie bestätigt. So findet sich etwa Russland in der Untersuchung fast ganz hinten wieder, viertletzter Platz, ähnliches gilt für viele der ehemaligen Sowjetrepubliken. Dazu geht Religiosität in den USA einher mit einem Misstrauen in die Forschung.
Manche Vorurteile bestätigen sich eben aber auch nicht. Die meisten Moslems sehen keinen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion. Sogar das Gegenteil ist oft der Fall: „Trust is positively associated with religiosity.“ Unter den Top 10 sind drei moslemische Nationen, vier christlich geprägte und mit Nigeria auf Platz 3, ein Land, das sich zu etwa gleichen Teilen aus Christen und Moslems zusammensetzt. Mit Religion hat Wissenschaftsfeindlichkeit fast nie etwas zu tun, Ausnahmen wie in den USA bestätigen die Regel.
Die Lage ist besser, als vielen bewusst ist. Markus Huff sagt: „Das Vertrauen in Wissenschaft ist erstaunlich hoch. Das ist offenbar schwer zu erschüttern – und das ist die gute Nachricht.“

Politische Einstellung im Verhältnis zur jeweiligen Glaubwürdigkeit von Wissenschaft.
Aber nur weil die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern insgesamt weltweit immer noch sehr hoch ist, heißt das nicht, das ist keine Probleme gibt. Tatsächlich steht Wissenschaft vor großen Herausforderungen, etwa Desinformation, Verschwörungstheorien und selbstgemachten Glaubwürdigkeitskrisen – weil: publish or perish, -wer schreibt, der bleibt-, immer noch bestimmendes Motiv ist in der Forschung. Wissenschaftler sind einem starken Druck ausgesetzt, ihre Ergebnisse möglichst früh und vor allem oft in Fachzeitschriften zu veröffentlichen, um ihr wissenschaftliches Renommee zu steigern.
Was das mit dem Ansehen von Wissenschaft zu tun hat?
Schätzungen zufolge sind etwa zwei Prozent derjenigen Paper, die jedes Jahr bei Publikationen eingereicht werden, Fake. Weil es sich um insgesamt sechs Millionen Paper im Jahr handelt, geht die Zahl in die Hunderttausende. Mit der sich ständig verbessernden KI vergrößert sich das Problem, weil oft nur Phrasen zusammengeklöppelt werden – je spezieller das Thema, desto weniger nachvollziehbar das Paper. Besonders betroffen von dem Problem: Medizin.
Das Ziel? Institutionen zerstören.
Oft stecken ganze Industrien hinter den Fake-Papern, die, wie kann es anders sein, vor allem aus Russland und China kommen. Das Ziel? Vertrauen zerstören und dadurch Gesellschaften destabilisieren. Oft decken sich dabei außenpolitische Interessen bestimmter Länder mit den innenpolitischen Zielen einige Gruppen.
Denn Populismus von Innen attackiert immer auch Wissenschaft, das bekommt jeder mit, der nur halbwegs am öffentlichen Diskurs teilnimmt. Hat eine Gesellschaft eine erodierende Faktenbasis auf die sie sich (nicht) einigen kann, geht der common ground verloren, dann hilft das die Gesellschaft zu spalten und Macht zu ergreifen oder zu sichern. „We found that those who favor hierachy enhanchment are less likley to trust scientists,” wie es in der Studie heißt. Angriffe auf Universitäten könnten demnach auch dazu dienen Institutionen zu schwächen, die potenziell soziale Hierarchien verändern könnten.
Im November 2021 war J.D. Vance noch nicht Vizepräsident der USA, nicht mal im Senat vom Ohio. Aber als Kandidat für letzteres hielt er eine Keynote auf der National Conservatism Conference in Orlando, die den Titel hatte: „The Universities are the enemy.”
Professoren sind perfekte Zielscheiben. Die Arbeit, die sie leisten, ist für Außenstehende oft undurchsichtig, weil einerseits niemand weiß, wie Wissenschaft funktioniert, andererseits die Themen oft so speziell sind, dass sie mit der Lebensrealität der meisten Menschen auf den ersten Blick nichts zu tun haben. Und auf den zweiten Blick auch nicht. Wissenschaftler lassen sich so leicht als weltfremd karikieren. Vor allem können sie sich schlecht wehren - sie sind nicht Taylor Swift oder BTS und haben keine Social Media-Army, also keine Reichweite.
Über „Wissenschaft“ zu meckern und das Wort in einem politischen Kontext zu verwenden, bedeutet, das es oft als Synonym gebraucht wird, das für alles steht, was einem nicht passt: Liberalismus, Werte, Einwanderung, Bürokratie. Weil Wissenschaft ohne die vier genannten Begriffe eben schlecht funktioniert. Zudem können Strukturen nicht personalisiert werden. Sie sind dadurch nicht greifbar, Wissenschaftler aber schon. Viel leichtere Opfer gibt es nicht.
Ist die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern weltweit aber dennoch relativ hoch, ihr Ansehen überwiegend positiv, wie „Trust in scientists and their role in society across 68 countries” beweist, dann spricht das für ihre Stärke – und die Wertigkeit ihrer Arbeit.
Angriffe auf Wissenschaftler zeigen daher nicht, dass das Vertrauen in die Wissenschaft verloren gegangen ist. Sie zeigen im Gegenteil, wie ernst die Gegner Wissenschaft nehmen. Der Versuch der Zerstörung der Glaubwürdigkeit von Wissenschaft, -in dem man etwa Zweifel sät-, ist ein Angriff auf die gemeinsame Basis innerhalb einer Gesellschaft.
Wissenschaftspopulismus baut dabei einen Antagonismus zwischen dem „gesunden Menschenverstand“ und den akademischen Eliten. Während die eine Seite angeblich das Volk repräsentieren, besteht die andere scheinbar ausschließlich aus Experten von Genderstudien, die von den echten Problemen natürlich nichts mitbekommen (Dabei bedeutet der „gesunde Menschenverstand“ in der Regel ja, dass sich völlig fachfremde Menschen zu Themen äußern, von denen sie überhaupt keine Ahnung haben).
Huff sagt: „Ohne Vertrauen in Wissenschaft bleibt Forschung wirkungslos.“ Die Studie beweise aber, dass Politik der Bevölkerung mehr vertrauen könne. „Der Politik muss vermittelt werden, dass das Vertrauen in Wissenschaft groß ist.“ Politische Entscheidungen könne man daher selbstverständlich auf Wissenschaft stützen. „Glasklare Kommunikation“ sagt Huff, helfe dabei.
Es gibt eine Grund, warum Desinformation oft wissenschaftlich klingt, und Ansagen macht: Weil die mit den Mitteln des Vertrauens verwirren soll. Ziel aller Desinformation ist nicht zu überzeugen, es geht darum Zweifel zu säen. Impfen ist so ein Beispiel: Jede Datenlage der Welt beweist, dass Impfen Leben rettet und Infektionskrankheiten ausrotten kann. Die Herstellung von Impfstoffen ist eine der am strengsten regulierten Bereiche, die es gibt. Dennoch ist Impfen in Teilen der Gesellschaft eine umstrittene Sache. Die These, dass Impfen Autismus erzeugt, ist dutzendfach widerlegt. Totzukriegen ist sie trotzdem nicht. Und so sind die Masern ein bisschen wie ein neuer Teil von „Fast & Furious“: Kennt man alles schon, braucht man nicht, kommt trotzdem ständig wieder.
Gerade bei Social Media hat Desinformation immer einen strategischen Vorteil, weil sie Emotion und damit Interaktion erzeugt und so die algorithmisch generierte Reichweite erhöht. Setzen sich aber die größten Populisten durch, werden aus News nicht nur Fake News, sondern aus der Realität wird dann eine Fake Realität - verstärkt wird das zudem von den unzähligen russischen und chinesischen Bots, die wiederum ein Interesse an Destabilisierung haben. Wahrgenommene Realität wird mittelfristig immer problematisch, weil sie sich in politische Realität verwandelt und damit schlicht reale Realität wird (sind wir jetzt bei Matrix angekommen?).
Aber: So einfach ist es nicht. Menschen vertrauen. Das ist die gute Nachricht.
Und so ist Wissenschaft wie Neo. Verprügelt, angeschossen, harte Zeiten, alles sieht schlecht aus und manchmal scheint es, als ob die anderen gar nicht verlieren können und sich nur darüber wundern, warum man nicht aufgibt.
“Why Mr. Anderson” fragt Agent Smith. “Why, why, why do you do it? Why keep fighting? Is it for freedom or truth? You must know it's pointless to keep fighting. So why Mr. Anderson, why, why do you persist?” In der Studie von Huff stimmt mehr als die Hälfte der Befragten, 54 Prozent, der Aussage zu, dass Wissenschaft mit der Öffentlichkeit stärker kommunizieren sollte. Einfach weitermachen.
Neo sagt: “Because I choose to”.
