Der Vertrag ist erst der Anfang.
Warum die Einigung nicht das Ende der Arbeit ist.

© Philipp Kohlhöfer
Er enthält einige vage Formulierungen. Ein Anhang, der Maßnahmen konkretisieren soll, ist noch nicht fertig ausgehandelt. Die Bestätigung der 194 WHO-Mitgliedsländer steht noch aus. Die Ratifizierung von mindestens sechzig Mitgliedsländern, die Jahre in Anspruch nehmen könnte, ohnehin. Es ist nicht alles Gold, was glänzt beim Pandemievertrag, auf den sich die Unterhändler Mitte April bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Mitte April einigten und der Ende Mai 2025 von der World Health Assembly in Genf einstimmig angenommen wurde.
In anderen Zeiten wäre der 31 Seiten lange Text womöglich mit Enttäuschung aufgenommen worden, aber die Zeiten sind, wie sie sind: In der gegenwärtigen geopolitischen Situation zeigt der Vertrag, so unfertig er in Teilen sein mag, dass der Multilateralismus in der globalen Gesundheitspolitik zwar unter Beschuss ist, aber noch nicht tot – schließlich geht der globale Trend schon seit längerem ins Nationale. So waren etwa die USA, bisher größter Geldgeber der WHO, seit Dezember 2024 nicht mehr an den Verhandlungen beteiligt. Nach der Amtsübernahme von Donald Trump hatte der den Austritt aus der UN-Organisation angeordnet, der im Januar 2026 aktiv wird.
Dass der Vertrag notwendig ist, die Planung auch international intensiviert werden muss, wie mit dem Risiko zukünftiger Pandemien umgegangen werden soll, steht außer Frage. „Not if, but when“ nennt die Harvard School of Public Health die Möglichkeit einer neuen Pandemie und die Impfstoffinitiative CEPI, die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations, eine weltweite Allianz zwischen Regierungen, Forschungseinrichtungen, der Impfstoff-Industrie und privaten Geldgebern, beziffert die Chance auf 38 Prozent. Die Gründe: Menschen stoßen in Gebiete vor, die Wildtieren vorbehalten waren, wie etwa den Regenwald. Die kommen dann mit Nutztieren in Kontakt, die wiederum engen Kontakt mit Menschen haben. Ställe können dabei als Inkubatoren wirken. Auch der Klimawandel begünstigt durch Hitze und Überschwemmungen die Ausbreitung von Insekten und Erregern. Die ständig steigende Mobilität über große Entfernungen tut ihr Übriges.
One Health ist Pandemieprävention
Michael Stolpe, Leiter des Projektbereich Globale Gesundheitsökonomie am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) und Co-Sprecher des Leibniz Lab Pandemic Preparedness sagt: „Ein One-Health-Ansatz ist für eine wirksame Pandemieprävention grundlegend. Nur damit lassen sich relevante Veränderungen in natürlichen Ökosystemen und in der Beziehung des Menschen zu Wild- und Nutztieren verstehen, die das Übertragungsrisiko für Pathogene aus dem Tierreich auf Menschen erhöhen – denn um die nächste Pandemie auszulösen, braucht es für das menschliche Immunsystem neuartigen Pathogene.“
Alles gut also? Stolpe sagt: „In den Verhandlungen zum Pandemieabkommen haben offenbar einige Regierungen eine stärkere Berücksichtigung des One-Health-Ansatzes verhindert, die den Ursprung von SARS-CoV-2 nicht im Tierreich, sondern in einem Laborunfall vermuten. Die These vom Laborunfall kommt solchen Ländern gelegen, die kostspielige Investitionen in den Schutz von Biodiversität und natürlicher Ökosysteme vor einer expandierenden Landwirtschaft vermeiden wollen und stattdessen die Ernährung ihrer Bevölkerung und den Export von Agrarrohstoffen priorisieren.“
"Kein Land kann eine Pandemie im Alleingang besiegen", sagt Michael Stolpe.
Der Pandemievertrag ist eine Lehre aus der Covid-19-Pandemie. Und dennoch war seine Aushandlung ein hartes Stück Arbeit. In vielen Ländern zirkulierende Verschwörungstheorien zwangen die Unterhändler, immer wieder zu betonen, dass es zu der vermuteten Untergrabung staatlicher Souveränität nicht kommen werde.
„Sehr kompliziert“ sei das gewesen sagt jemand, der dabei war, aber nicht zitiert werden darf. Die Deutschen, sagt er, hätten sich gerne mehr gewünscht, die Europäische Union die Verhandlungen als „honest broker“ führen wollen. Und auch wenn das so klingt, als seien die Europäer die einzigen „Guten“ und das sicherlich übertrieben und nicht zutreffend ist: die EU ist momentan der große globale Player, der die regelbasierte Ordnung verteidigt, von Indien vielleicht mal abgesehen.
Es war kompliziert
Zur Wahrheit gehört daher beides: Einerseits haben viele afrikanische Staaten, immer wieder schlechte Erfahrungen mit westlicher Politik gemacht, gerade auch in Gesundheitsfragen, ein gewisses Misstrauen ist also verständlich. Andererseits setzt vor allem Russland gerade in Afrika gezielt Verschwörungstheorien in die Welt, um internationale Politik im Sinne Moskaus umzugestalten. Vor knapp anderthalb Jahren veröffentlichte das „Africa Center für Stategic Studies“ eine Untersuchung über die Urheber verschiedener Desinformationskampagne auf dem afrikanischen Kontinent. Achtzig der 200 Kampagnen hatten zweifelsfrei russischen Ursprung. Neu ist das nicht. Spätestens seit den frühen 2000er sind Verschwörungstheorien Teil russischer Außenpolitik. Alleine Google Schoolar zeigt 125 000 Einträge zum Thema.
Dennoch: Russland hat dem Pandemievertrag schließlich zugestimmt.
Dr. Stefan Kroll vom PRIF – Leibniz Institut für Friedens- und Konfliktforschung betrachtet es grundsätzlich als einen Erfolg, dass in der gegenwärtigen geopolitischen Lage ein Vertrag mit globaler Reichweite geschlossen wurde. Von besonderer Bedeutung seien die geplanten Maßnahmen zur Prävention und zu einem gerechten Management globaler Gesundheitskrisen. Hier habe es in der Zeit der Corona-Pandemie Defizite bei der Impfgerechtigkeit und der internationalen Solidarität gegeben: „Ob dies allerdings der aktuelle Vertrag leistet, kann erst die Zukunft zeigen. Viel hängt nun von den konkreten Schritten der Implementierung ab“ sagt Kroll. Das PRIF ist eines der beteiligten Institute im Forschungsschwerpunkt „Pandemiemanagement“ im Leibniz Lab Pandemic Preparedness.

Damals bei Covid, diesmal beim Pandemievertrag: Manche Leute sind anfällig für Verschwörungstheorien. Nicht nur bei tinder.
Über drei Jahren dauerte es die 35 Artikel des Vertrages auszuhandeln. Die Gespräche begannen im Dezember 2021, kurz nachdem klar wurde, dass die von Europäern vorgeschlagene Impfstoffinitiative COVAX de facto gescheitert war. Die sollte damals den ärmeren Teil der Welt mit Impfstoffen gegen COVID-19 versorgen. Statt aber eine gerechte Impfstoffverteilung zu unterstützen, horteten viele Hocheinkommensländer einen Großteil der Impfstoffe und des medizinischen Materials. In armen Ländern kam kaum etwas an. Diese Zustände sollten sich nicht wiederholen. Klappt das?
Michael Stolpe sagt: „Das geplante PABS im noch ungeklärten Anhang ist entscheidend.“ Das sogenannte „Pathogen Access and Benefit Sharing System“ (PABS) sieht vor, dass DNA-Sequenzen neu entdeckter Pathogene mit teilnehmenden Pharmaunternehmen geteilt werden, da diese die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gezielt beschleunigen können. Im Gegenzug sollen Pharmaunternehmen zehn Prozent ihrer Produkte an die WHO spenden und weitere zehn Prozent vergünstigt abgeben. Die WHO verteilt diese an ärmere Länder. Eine Beschleunigung der Impfstoffentwicklung soll auf diese Weise mit mehr Verteilungsgerechtigkeit verknüpft werden.
Das soll der Vertrag regeln:
- Prävention: Länder verpflichten sich, ihre Gesundheitssysteme und die Überwachung des Tierreichs so zu stärken, dass Krankheitsausbrüche schnell entdeckt und möglichst im Keim erstickt werden.
- Lieferketten: Alle Länder sollen Zugriff auf Schutzmaterial, Medikamente und Impfstoff haben. Gesundheitspersonal soll zuerst versorgt werden.
- Technologietransfer: Pharmafirmen sollen ihr Know-how teilen, damit auch in anderen Ländern Medikamente und Impfstoffe produziert werden können.
- Forschung und Entwicklung: DNA-Sequenzen von Pathogenen sollen für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug sollen Pharmaunternehmen der WHO zehn Prozent ihrer Produktion zur Verteilung in ärmeren Ländern spenden und weitere zehn Prozent zu günstigen Preisen abgeben (PABS-System). Die Modalitäten müssen im Detail noch ausgehandelt werden.
Der Anhang muss noch im Detail verhandelt werden
Allerdings soll die Beteiligung der Pharma-Unternehmen an dem geplanten PABS freiwillig sein, so dass noch nicht absehbar ist, wie viele Dosen neu entwickelter Impfstoffe diese Unternehmen der Weltgesundheitsorganisation nach Ausbruch der nächsten Pandemie tatsächlich kostenlos oder zu einem Vorzugspreis anbieten werden.
„Sollte der Anhang nicht zustande kommen, würde wohl das gesamte Pandemieabkommen scheitern“, sagt Stolpe. „Zudem sind viele der 35 Artikel recht vage formuliert und lassen Raum für unterschiedliche Interpretationen.“
Das, vermutet er, sei möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass man unterschiedliche Interessen und Sichtweisen verschiedener Länder und Ländergruppen unter einen Hut bringen musste. Aber: „Sollte es in der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen oder nach dem Ausbruch einer neuen Pandemie zu Konflikten kommen, hat die Weltgesundheitsorganisation so gut wie keine Möglichkeiten, Verstöße gegen das Pandemieabkommen zu sanktionieren.“ Verschwörungstheorien, dass die WHO mit dem Vertrag zur mächtigsten Behörde der Welt aufsteigen werde, die jede Schule in jedem Landkreis in jedem Dorf schließen könne, gibt es dennoch. Was natürlich Blödsinn ist.
Wie immer: Es gibt Verschwörungstheorien
Der Pandemievertrag gilt nur für diejenigen Länder, die ihn ratifizieren, und auch dann nur, wenn das mindestens sechzig WHO-Mitgliedsländer getan haben. Auch diesen Ländern bleibt ihre Souveränität aber in jedem Fall erhalten. Die WHO kann den Regierungen nicht vorschreiben, welche Maßnahmen ergriffen werden, sie gibt lediglich Empfehlungen. Und viele mit dem Pandemieabkommen eingegangene Verpflichtungen gelten „je nach nationalen Gesetzen“, zudem gibt es anderen Stellen einschränkende Formulierungen wie „in gegenseitigem Einvernehmen“.
Und sollte ein Staat gegen den Pandemievertrag verstoßen, was eigentlich nicht im eigenen Interesse liegt, weil es ja um die Resilienz der eigenen Gesellschaft geht, wäre das zwar ärgerlich, aber es sind keine Sanktionen vorgesehen. Die WHO ist keine Polizeibehörde. Sie hat weder die Befugnisse noch die Macht, um Regeln durchzusetzen.

Künftig soll Gesundheitspersonal besser geschützt und schneller versorgt werden.
Zur Prävention sollen die Mitgliedstaaten unter anderem auch ihre Gesundheitssysteme ausbauen und Tierbestände stärker kontrollieren, um Krankheitsausbrüche schneller zu erkennen. Lieferketten sollen so angepasst werden, dass alle Länder Zugang zu Schutzmaterialien, Medikamenten und Impfstoffen haben. Gesundheitspersonal soll vorrangig versorgt werden.
Das ist weder wild noch neu. Stolpe sagt: „Zum Aufbau regionaler Impfstoff-Produktionskapazitäten auf Basis der vielversprechenden mRNA-Technologie haben die Weltgesundheitsorganisation und der Medicines Patent Pool, MPP, bereits 2021 ein Programm gestartet, das weiterläuft.“
Und täglich grüßt das Murmeltier: Donald Trump
Etablierte globale Lieferketten in der forschenden Pharma-Industrie sind allerdings durch die Zollpolitik der amerikanischen Regierung akut bedroht. Donald Trump will unter dem Vorwand einer angeblichen Gefährdung der nationalen Sicherheit der USA Sonderzölle auf Pharmaka-Importe einführen, die darauf abzielen, den Produktionsanteil seines Landes deutlich zu erhöhen.
Aktuell werden bereits etwa die Hälfte aller patentgeschützten Pharmaka in den USA produziert, 35 Prozent kommen aus der Europäischen Union. „Da die USA sich nicht am globalen Pandemieabkommen beteiligen, muss befürchtet werden, dass sie im Falle einer neuen Pandemie strikte Exportkontrollen für alle relevanten Pharmaka einführen“, sagt Michael Stolpe. Dazu passt, dass komplexe Finanzierungsfragen in den Verhandlungen bisher weitgehend ausgeklammert worden sind. Stolpe sagt: „Weder sind größere Finanzierungshilfen etwa für Präventionsmaßnahmen in Ländern des globalen Südens geplant noch ist geklärt, wie die Umsetzung des Abkommens koordiniert und überwacht werden kann.“
Viel Arbeit, die noch gemacht werden muss.
Und so ist der Pandemievertrag nicht das Ende, sondern erst der Anfang.
Dr. Michael Stolpe…
...ist Co-Sprecher des Leibniz Lab Pandemic Prepardness und Mitglied des Lenkungskreises des Labs. Er ist dort mitverantwortlich für den Schwerpunkt Pandemiemanagement, in dessen Mittelpunkt die Widerstandsfähigkeit unseres Gesundheitssystems steht.
Darüber hinaus leitet er den Projektbereich Globale Gesundheitsökonomie am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Er beschäftigt sich vor allem mit gesundheitlicher Ungleichheit, Gesundheitsinvestitionen über den Lebenszyklus, Methoden der ökonomischen Evaluierung sowie Innovationen im Bereich medizinischer Technologie. Michael Stolpe verfügt über zusätzliche Forschungserfahrung in den Bereichen Finanzmärkte, internationale Wirtschaftsbeziehungen und Wachstumsökonomie.
Im Schwerpunkt Pandemiemanagement liegt Stolpes Hauptfokus auf Arbeitspaket 10: „Identifizierung von Elementen der Pandemievorbereitung, die in einem globalen Pandemievertrag geregelt werden sollten und Entwicklung einer diskursethisch fundierten Strategie zur Einigung auf einen durchsetzungsfähigen Vertrag.“
Hier ist das IfW zusammen mit dem PRIF, dem Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung, federführend.
